
FC Erzgebirge Aue – SG Dynamo Dresden: Spielanalyse
0:1 gewinnt Dynamo das heiß herbeigesehnte Sachsenderby gegen Erzgebirge Aue. Lasst uns einen taktischen Blick auf das Spiel werfen, um dieses Endergebnis zu verstehen.
Das Grundproblem des Spiels
Vorweg: Das Spiel zwischen Dynamo und Aue war nahezu über die gesamte Spielzeit ausgeglichen. Während Dynamo seinen typischen strategischen Stiefel herunterspielte, war Aue klug darauf eingestellt. Beide Seiten verfolgten also einen Plan, hatten jeweils aber auch Probleme, diesen erfolgreich umzusetzen. Daher wird das Spiel am Ende durch Kleinigkeiten – einen groben Fehler – entschieden. Schauen wir uns das nochmal genauer an:
HZ1: Dynamo im Pressing, Aue im Aufbau
Dynamo ist unter Schmidt bekanntermaßen ein Pressingteam. Für Aue war es deswegen wichtig, dagegen Lösungen im eigenen Ballbesitzspiel zu finden. Das könnte einer der Gründe für die Wahl der 3412-Grundordnung in diesem Spiel gewesen sein. (Auf einen zweiten gehe ich später ein.) Denn: Schon rein nominell kann man sich damit in den tiefen Zonen gegen das typische Dynamos Pressing Überzahl schaffen. Das funktionierte auf dem Feld folgendermaßen:
Aue positionierte sich aus eben jenem 3412 mit den drei Innenverteidigern und einem der Sechser rund um den eigenen Strafraum. So reichte das klassische Dresdner Pressing mit den drei Stürmern nominell nicht mehr aus. Meist musste Achter Herrmann noch mit auf den gegnerischen Sechser rausschieben.
Durch die hoch stehenden Auer Stürmer schuf dies so zunächst einmal große Räume im Zentrum, die man mit einem potenziellen Chipball auf den höher stehenden Sechser (meist Hochscheidt) bespielen hätte können. Aue wollte Dynamo also mit einigen kurzen Pässen rauslocken und dann genau so überspielen. Den direkten Weg mit dem Chipball wählte man jedoch seltener.
Denn hier kommt der zweite Clou: Der FCE positionierte die beiden Außenverteidiger asymmetrisch, zog Rechtsverteidiger Strauß im Aufbau deutlich weiter zurück als seinen Pendanten Baumgart. Somit hatte man in den tiefen Zonen noch einen Akteur mehr. Dynamos Stürmer konnten nicht alle davon wirkungsvoll kontrollieren und ließen gleichzeitig gefährliche Räume in ihrem Rücken entstehen. Aue wollte Dynamo also anlocken, daraufhin über die rechte Seite die eigene Überzahl ausspielen und dann in ihr schnelles vertikales Angriffsspiel kommen.
Ich hatte kurz den Gedanken, dass man bei der SGD eher eine gegnerische Viererkette erwartet hatte. Schließlich kennt man es nicht von Schmidt, dass seine Teams einen unpassenden Pressingplan verfolgen. Ob das so war, bleibt Spekulation.
Auf jeden Fall schob man auf Dresdner Seite schon nach einigen Minuten auch noch Linksverteidiger Löwe weiter nach vorn, um das numerische Mismatch im Pressing zu kompensieren. Für ihn waren die Anlaufwege allerdings extrem weit, sodass er nicht selten zu spät kam und dadurch hinter sich eine riskante 1v1-Absicherung hinterließ.
Die folgenden Grafiken zeigen eine Szene, in der es Aue gelang, das unpassende Pressing genau so auszunutzen.
Aue hat durch die asymmetrischen Außenverteidiger im Aufbau Überzahl, Löwe kommt zu spät. Dadurch kann der FCE einen langen Ball an die letzte Kette spielen. Dort muss Dynamo im riskanten 3v3 mannorientiert auf eine Seite durchschieben (z. B.: Akoto in den LV-Raum), was Raum auf der ballfernen Seite schafft. Aue schafft es, durch kluges Steil-Klatsch-Spiel über den nachrückenden Zentrumsspieler schnell auf die verwaiste Seite zu gelangen. Spielt man das gut aus, entsteht daraus große Torgefahr. In diesem Fall arbeiten Schröter und die weiteren Mittelfeldspieler der SGD aber gut mit zurück, schieben stark mit durch und können so Schlimmeres verhindern.
Warum hat Aue trotz dieser Möglichkeiten in der ersten Hälfte nur wenige Torchancen kreiert? Nun, da kommen wir wieder auf das Grundproblem des Spiels zu sprechen: Bei den Erzgebirglern mangelte es an Tempo und Präzision. Individuell gelang es Ihnen selten, diesen vielversprechenden Plan umzusetzen. Teils konnten schon Dynamos Stürmer den Ball gewinnen oder einen unkontrollierten Schlag provozieren. Teils spielte Aue zu schnell lang, sodass sich das Dresdner Mittelfeld schnell zurückorientieren konnte.
Wichtig war außerdem, dass Dynamo mit dem Hochschieben von Löwe schnellstmöglich eine wichtige Anpassung getätigt hat. Im folgenden Bild sieht man dafür eine beispielhafte Situation. Mit schnellerem Balldruck spielte Aue unkontrollierter, mit den intensiven und klug verteidigenden Innenverteidigern konnte die SGD die folgenden langen Bälle dann meist ordentlich wegverteidigen.
HZ1: Dynamo in Ballbesitz, Aue im Pressing
Im Gegensatz zum Spiel ohne Ball ging die SGD für die Spielphase Ballbesitz durchaus mit einem grundsätzlich sinnvollen Plan in das Derby. Der war schließlich auch nötig, da Aue in ihrem 3412-Mittelfeldpressing Dynamo über weite Strecken den Ball überließ.
Die Idee war folgende: Aus dem klassischen 433 (bekannt aus den letzten Wochen) ließen sich einerseits die drei Mittelfeldspieler tief fallen. So wollte man das gegnerische Mittelfeld aus der kompakten Struktur locken und Raum zwischen den Linien schaffen. Diesen sollten dann die langen Bälle auf Daferner erreichen.
Andererseits lockten auch Dynamos breit stehende Außenverteidiger ihre jeweiligen Gegenspieler, sodass Dynamos Flügelstürmer theoretisch auch mit langen Bällen hinter die Auer Außenverteidiger geschickt hätten werden können.

Diese Idee klappte gegen das Auer 3412 jedoch sehr selten. Zum einen ließ sich Aue gesamttaktisch selten aus der Kompaktheit locken. Sie lenkten Dynamo auf außen, agierten dabei aber sehr kompakt, sodass für die SGD nur noch lange Bälle in Frage kamen. Mit der Fünferkette konnten die langen Bälle dann leicht wegverteidigt werden.

Nimmt man mal an, dass Dynamo mit einem Auer 442 geplant hat, ergibt der ursprüngliche Gedanke durchaus viel Sinn. Gegen ein solches System mit doppelter Flügelbesetzung und weniger Zentrumskompaktheit beim Gegner hätte die Anlock-Idee gut funktionieren können.
Mit der Dreierkette fiel es Aue jedoch oft leicht, die Oberhand zu behalten. Neben dem angesprochenen gesamttaktischen Vorteil gerade auch aus individuellen Gründen. Anfangs standen beispielsweise die Innenverteidiger etwas zu eng. So konnten sie leichter durch die Auer Stürmer unter Druck gesetzt werden, hatten zudem wenig erfolgversprechende Passwinkel.
Aus Dynamo-Perspektive wäre hier eine strukturelle Alternative im Ballbesitzspiel wünschenswert gewesen. Mit der Zeit passte man einige Details auf individueller Ebene an: Akoto stand breiter und dribbelte einige Male klug an, Becker rückte situativ für Überzahl ins Mittelfeld. Doch wirklich systematisch und daher entscheidend waren diese Änderungen zumindest hinsichtlich der Dresdner Torgefahr nicht.
HZ1: Gefahr auf beiden Seiten
Torgefahr kreierten beide Teams in der ersten Hälfte aus einer anderen Art von Situation. Dynamo schlug primär aus den Aufbaufehlern der Auer Kapital, indem sie nach ihrem Pressing schnell und vertikal umschalteten (z. B. in den angesprochenen Raum hinter den gegnerischen Außenverteidigern). Genauso agierte Aue nach eigenem Ballgewinn (entweder nach den erfolglosen langen Bällen der SGD oder nach einer Dresdner Chance) sehr direkt. Individuelle Umsetzungsschwächen (falsche Entscheidungen, Präzision, etc.) führten letztlich aber auch da zu wenig Ertrag.
Gerade anfangs beurteile ich persönlich die Auer Konter durchaus etwas zielstrebiger und gefährlicher als die Dresdner. Dynamo brauchte ein wenig, um an das Zweikampf– und Intensitätsniveau des KSC-Spiels anzuknüpfen. Aue hat dagegen mit Nazarov und Kühn zwei perfekt zu dieser Idee passende Spieler im Kader. Nachdem Dynamo circa bei Minute 20 die richtige Intensität und das richtige Timing im Vorwärtsverteidigen wiederfand (Akoto ist da positiv hervorzuheben), gestaltete sich das Spiel sehr ausgeglichen – mit viel Stückwerk auf beiden Seiten.
HZ2: Umstellung auf Dynamo-Seite
Angesichts der strukturellen Probleme stellte Dynamo-Trainer Schmidt in der Halbzeit folgerichtig um. Ab diesem Zeitpunkt agierte man in einem 3412 und spiegelte so die Formation des Gegners. Das schaffte zum einen klarere Zuordnungen im Pressing, ließ die Außenverteidiger höher pressen, garantierte aber gleichzeitig auch Überzahl und Sicherheit in letzter Linie.

Auch mit Ball half die neue Struktur: Gegen die beiden Auer Stürmer hatte man in der ersten Aufbaulinie Überzahl und damit mehr Kombinationsmöglichkeiten. Zudem konnten die beiden Sechser nicht mehr so leicht mannorientiert verfolgt werden. Außerdem versuchte man mit Borrello und später Königsdörffer als rechten Stürmer vermehrt, den schon angesprochenen Raum hinter dem gegnerischen Außenverteidiger zu bespielen.

HZ2: Tor und Schlussphase
Die Vorteile des 3412 im Ballbesitz kamen jedoch in diesem Spiel selten zum Tragen. Zunächst weil Dynamo wieder individuell Schwierigkeiten hatte, nach dem Gegentor weil Aue mehr vom Ball hatte und sich die SGD auf das Kontern fokussierte.
Dafür halfen zumindest die Anpassungen auf defensiver Seite. Auf der anderen Seite agierte Aue auch wenig kreativ. Sie behielten ihre leicht asymmetrische, ungefähre 4114-Struktur bei und überluden die letzte Linie. Über viele lange und zweite Bälle wollte man vor das Dresdner Tor gelangen. Das klappte auch einige Male, allerdings eher aufgrund zufällig entstandener Situationen oder Dresdner Passivitäten. In dieser Phase hätte Dynamo daher auch durchaus einen Gegentreffer kassieren können. Nachhaltige Dominanz konnte Aue dennoch nicht erzeugen.
Erfolgsversprechender wäre es beispielsweise gewesen, die doppelte Flügelbesetzung auszunutzen. Durch tiefe Außenverteidiger, die Dynamos Außenverteidiger anlocken, und Tiefenläufe der Stürmer in den Raum dahinter, hätte man beispielsweise (in der Theorie) zu Gefahr kommen können. So blieb es letztlich beim bloßen Anrennen, das Dynamo spätestens im Strafraum weitgehend solide wegverteidigte.
Fazit
Damit gewinnt Dynamo das Sachsenderby schlussendlich. In einem ausgeglichenen Spiel war Aue top eingestellt und hätte die SGD so auf dem falschen Fuß erwischen können. Die strukturellen Schwächen korrigierten die Dresdner allerdings schnell und klug. Damit stand man zumindest defensiv über weite Strecken stabil und war dem Gegner in den entscheidenden Duellen überlegen.
Auch wenn ein Unentschieden mehr als denkbar gewesen wäre, ist so auch das 0:1 als Endergebnis nachvollziehbar. Aus Dynamo-Perspektive war das ein ordentliches Spiel, wenn auch dieselbe Einordnung weiterhin gültig bleibt: Defensiv agiert man weitgehend stabil, was eine Verbesserung zu Spielen des Oktober/ November darstellt. Offensiv sind dagegen noch deutliche Steigerungen vonnöten. Nichtsdestotrotz: Diese stabile Basis reicht gegen bestimmte Gegner der Liga, wie zum Beispiel den FC Erzgebirge Aue.