SG Dynamo Dresden – Holstein Kiel: Spielanalyse

Gegen Holstein Kiel erreicht die SGD auch  im 13. Spiel in Folge nicht die erhofften drei Punkte. In der Unsicherheit der letzten Wochen wählte man dieses Mal einen simpleren Ansatz, kommt letztlich aber nicht über ein Unentschieden hinaus. Schauen wir uns dieses Spiel noch einmal genauer an.

Gegner und Kontext

Nach der im Saisonkontext so bedeutenden Niederlage der letzten Woche gegen den SV Sandhausen ging es für die SGD an diesem Wochenende nun primär darum, endlich wieder einen Sieg einzufahren – egal wie. Dabei stand einem mit Kiel ein Gegner gegenüber, der unter Trainer Rapp den Fußball zunächst ballbesitzfokussiert denkt. Der KSV kommt über ein kluges und flexibles Positionsspiel mit technisch starken Akteure, ohne jedoch gleichzeitig die eigene Flexibilität in Strategie und Taktik zu vernachlässigen.

Dynamo mit Ball

Komplexitätsreduktion bringt Sicherheit. Sind Teams verunsichert oder bleiben Ergebnisse aus, ist im Fußball häufig ein Umdenken hin zu einer simplen Strategie und Taktik zu beobachten. So entschied sich auch Dynamos Trainer Capretti, für dieses Spiel von seiner eigentlichen Idee von Fußball abzurücken und stattdessen eine weniger komplexe Herangehensweise zu wählen.

Statt weiter über Ballbesitz- und Dominanzanspruch Torgefahr kreieren zu versuchen, lag Dynamos Fokus gegen Kiel vor allem auf einem soliden Pressing und einfachem vertikalen Spiel mit Ball. Erzielte man hohe Ballgewinne, sollte schnell gekontert werden. Baute man das Spiel organisiert aus der Tiefe auf, lag der Fokus auf langen und zweiten Bällen.

Dafür agierte Dynamo in einem 4231 mit durchweg robusteren Spielertypen als zuletzt, insbesondere mit Mai zwischen den weiteren Angreifern. Mit Ball war der Plan einfach: Über tiefen Aufbau (zunächst aus der flachen Viererkette im 4231, später aus einem Dreieraufbau im 3412) bereiten wir lange Bälle vor, indem wir evtl. den Gegner etwas aus der Kompaktheit locken und uns eng um unseren Zielspieler an der letzten Linie oder im Zwischenlinienraum positionieren.

Wenngleich Mai flexibel agierte, führte das meist zu engen Staffelungen auf der linken Seite. Dort agierte mit Knipping der im Aufbauspiel präzisere Innenverteidiger, zudem der im 1v1 und in engen Räumen sicherere Königsdörffer. Letzterer positionierte sich mit Daferner eng um Zielspieler Mai, um entweder direkt tief zu starten oder um nach dem Ball auf Mai die zweiten Bälle aufzusammeln. Von dort sollte das Spiel schnell fortgesetzt werden, hauptsächlich über das Tempo und die 1v1-Stärke der Flügelspieler Königsdörffer und Diawusie.

Dynamos Aufbau, Kiels Pressing – SGD zunächst im 4231, enge Staffelung links, hier attackiert Königsdörffer die Tiefe (Bsp. aus Min. 1).
Dynamos Aufbau, Kiels Pressing – später im 3412, selbe enge Staffelung (Bsp. aus Min. 11, ähnlich z. B. auch in Min. 42).

In der ersten Spielhälfte kreierte Dynamo so jedoch nur selten Torgefahr. Situativ löste der robuste und bewegliche Königsdörffer Gegnerdruck auf und kam in die Dynamik. Selbiges gelang Diawusie in einigen Konterszenen, bei denen er von klugen überlaufenden oder unterlaufenden Bewegungen Akotos unterstützt wurde. Gegen insbesondere in der Endverteidigung souverän verteidigende Kieler gewann Dynamo das 1v1 jedoch sehr selten; genauso wie das Duell um die Flanke in den Strafraum, wenngleich die Boxbesetzung qualitativ meist stimmte. Dieser Ansatz war zu einseitig und simpel.

Dynamos Pressing

Dennoch hätte diese Idee natürlich auch erfolgreich sein können. Um die Wahrscheinlichkeit dessen zu erhöhen, hätte es jedoch deutlich mehr solcher Szenen gebraucht. Das funktionierte gerade in der ersten Hälfte jedoch nicht, weil Kiel das Pressing der SGD gut bespielte und so vielversprechende hohe Ballgewinne selten gelangen.

Aus einem höheren Mittelfeldpressing lief Dynamo das 433 des Gegners in einer 4231-Staffelung an. Dabei ähnelte der Plan jener Pressingidee, die Schalke vor einigen Wochen gegen die SGD verfolgte. Während die Gegenspieler im Zentrum mannorientiert verfolgt wurden, orientierten sich die Flügelspieler primär an den Außenverteidigern der Kieler. Stürmer Daferner lenkte das Spiel des Gegners auf eine Seite. Meist führt ein solches Lenken zu andribbelnden Bewegungen des jeweiligen Innenverteidigers. Lenkt man diesen über kluges Rückwärtspressing durch Daferner auf eine Seite und schließt gleichzeitig alle Passoptionen über enge Mannorientierungen (zentral) bzw. passende Deckungsschattenarbeit (Flügel), kann man so gefährliche Ballgewinne erzielen.

Dynamos Pressing, Kiels Aufbau – Ausgangslage bei Abstoß, situativ auch tiefer (Bsp. aus MIn. 2).
Dynamos Pressing, Kiels Aufbau – Pressing des IVs schnappt zu (Bsp. aus Min 6).

Wenngleich das zu Beginn des Spiels vereinzelt gelang, löste Kiel diese Szenen jedoch meist klug auf. Zunächst agierten die jeweiligen Innenverteidiger im Andribbeln ausgesprochen ruhig und technisch weitgehend sauber. Zudem war das Positionsspiel der höheren Akteure insofern klug, als dass sich die Kieler stets flexibel bewegten und auf Lücke positionierten. Über stetige Rotationen gelang es so, Dynamos Mannorientierungen zu überspielen.

Insbesondere manipulierte Kiel häufig die Positionierung des Dresdner Flügelspielers (meist Königsdörffer). Dieser agierte zwar meist diszipliniert und aufmerksam, indem er den Passweg des Innenverteidigers auf den Außenverteidiger mit seinem Deckungsschatten schloss. Schob jener jedoch weit hoch und kippte daraufhin der ballnahe Achter diametral ab, ergab sich auf dem Flügel eine einfache Passoption.

Dynamos Pressing, Kiels Aufbau – abkippender Achter löst Druck auf (Bsp. aus Min. 34).

Dynamos Pressing schlug somit in erster Linie häufig fehl. Nichtsdestotrotz konnte man gegen das eher direktere Übergangsspiel der Kieler mit viel Personal im Zwischenlinienraum vor allem mit den zwei defensiv denkenden Ketten inklusive der Doppelsechs insbesondere nach technischen Unsauberkeiten immer wieder Ballgewinne in tieferen Zonen erzielen.

Kam Kiel jedoch einmal in die Dynamik und agierte dabei sauber, wurde es direkt gefährlich. Sowohl im Konter- als auch im Übergangsspiel orientierte sich Kiel häufig in Richtung Wriedt, über den als Wandspieler über schnelle Steil-Klatsch-Abfolgen immer wieder dynamische Szenen zwischen den Linien (und auf der ballfernen Seite) kreiert wurden. Prinzipien wie Ein-Kontakt-Spiel und diagonales Passspiel wurden dabei deutlich, genauso wie das dynamische Besetzen (und Nachrücken) aller vertikaler Zonen. Letztlich lief dann im letzten Drittel noch viel über Flanken, die Dynamo  trotz kluger Boxbesetzung und -bewegung meist souverän wegverteidigte. Wenngleich in den Endaktionen auf Kieler Seite in dieser Hinsicht noch Verbesserungspotenzial bestand, musste Dynamo noch vor der Halbzeit den eigenen Pressingplan anpassen.

Dynamos Anpassungen gegen den Ball

Da der anfängliche Plan gegen den Ball nicht wie geplant funktionierte, wählte Capretti jetzt ebenfalls eine sehr einfache Variante. Von nun an agierte Dynamo mit kompletten Mannorientierungen über das gesamte Feld. Das bedeutete vor allem, dass Linksverteidiger Löwe nun deutlich höher (in Richtung des Rechtsverteidigers Korb) agierte, Königsdörffer ins Zentrum rückte und auf der anderen Seite Diawusie eher breit startete.

Dynamos Pressing, Kiels Aufbau – Mannorientierungen auf dem gesamten Feld (Bsp. aus Min. 40)

Kiel konnte nun zumindest nicht mehr so leicht Dynamos Pressing über kluges Positionsspiel (positional superiority) überspielen und ggf. in dynamische Aktionen kommen, sondern wählte ebenfalls häufiger den langen Ball. Damit wurde das Spiel aber auch noch zerfahrener als es ohnehin schon war. Der Fokus lag nun noch mehr auf vielen langen und zweiten Bälle, vielen direkten Duellen und noch mehr Standards. In solchen 50/50-Aktionen agierten beide Teams mit solider Intensität und Wucht, gleichzeitig konnte sich eines jedoch auch nicht vom anderen entscheidend distanzieren.

Kieler Anpassungen

Das versuchte Kiel noch einmal nachdrücklich in der zweiten Hälfte. Auf den vermehrten Dreieraufbau Dynamos (3412) reagierte Trainer Rapp mit einer Umstellung auf 352 gegen den Ball. Mit einem Verteidiger mehr schaffte er somit wieder zentrale Überzahl in letzter Linie, während gleichzeitig das Mittelfeld weiterhin mannorientiert kontrolliert werden konnte. So gelang es noch besser, Dynamos einseitigen und direkten Ansatz mit Ball über weite Strecken vom eigenen Tor wegzuhalten.*

* Auch eine spannende Geschichte des Spiels: Im Viereraufbau gelang es Kiel über das 433-Angriffspressing bzw. -Mittelfeldpressing häufig gut, Dynamo zu wenig Ballsicherheit, wenig Zeit zur Vorbereitung langer Bälle und situativ sogar zu einfachen Ballverlusten in erster Linie zu zwingen. Der Schachzug Caprettis, mit dem Dreieraufbau einen Akteur mehr in hohe Zonen zu schieben und andere Winkel zu schaffen, zwingt den Gegner ebenfalls zu einer Anpassung, bindet ihn tief und bringt damit auch mehr Zeit in der ersten Aufbaureihe.

Mit dem Ball reagierte Kiel auf Dynamos stark mannorientierten Ansatz insofern, als dass sie die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg im direkten Duell zu erhöhen versuchten (qualitative superiority). Eine sehr tiefe Viererkette sollte Dynamos Personal herauslocken, eine sehr breite Dreierreihe im Angriff es auseinanderziehen.

Dynamos Pressing, Kiels Aufbau – Mannorientierungen auf dem gesamten Feld gegen eine maximal breite Staffelung (Bsp. aus Min. 48).

So entstanden überall isolierte 1v1-Szenen, die – wenn gewonnen – sofort gefährlich werden konnten. Ein Beispiel ist der robuste Wriedt: Behauptet er sich als Wandspieler gegen Sollbauer und kann entweder selbst aufdrehen oder nachrückende Spieler einsetzen, kommt Kiel sofort in die Dynamik. Dynamo hat keinen unterstützenden Spieler, sondern muss weite Wege zurücklegen.

Damit einher geht zudem folgendes Dilemma, hier am Beispiel der breit stehenden Flügel erklärt: Geht Dynamos Verteidiger eng mit, kann er zwar sofort Druck erzeugen, befindet sich aber auch in ungewohnten Zonen und kann so im 1v1 schnell (z. B. im Schnelligkeitsvergleich) überspielt werden. Außerdem öffnet er große Räume im Zentrum, die nachrückende Gegner bespielen können. Bleibt er aber im Zentrum, kann der Kieler Flügelspieler den Ball im Raum empfangen und ebenfalls in die Dynamik kommen.

Dynamo hat sich richtigerweise für letztere Option entschieden, indem Akoto, Sollbauer und Knipping zunächst weiterhin enger standen und erst dann mannorientiert herausgerückt sind. Dennoch zeigen sich hier die Nachteile einer solchen Herangehensweise, insbesondere ohne Überzahlspieler in letzter Linie. Dann muss das Timing im Herausschießen und Absichern stets perfekt sein.

Insgesamt konnte Kiel mit den Mannorientierungen auf beiden Seiten schon etwas besser umgehen als die SGD. Über aktiveres und klügeres Freilaufverhalten in Verbindung mit dem Ein-Kontakt-Spiel fanden sie auch in der zweiten Spielhälfte einige gute Lösungen unter Druck und kreierten so (zumindest im Ansatz) vielversprechende Aktionen. Letztlich gelang es Dynamo aber zumindest auch, eine Großzahl der direkten Duelle für sich zu entscheiden und auch gegnerische Durchbrüche spätestens in der eigenen Box noch wegzuverteidigen.

Fazit

Damit war nahezu die gesamte zweite Hälfte durch viel Stückwerk und zahlreiche Umschaltaktionen auf beiden Seiten geprägt. Dabei gelang es Dynamo jedoch zu selten, in die Nähe des gegnerischen Tors zu kommen, um mehr als einen Punkt mitzunehmen. Letztlich war der simple Ansatz mit und gegen den Ball für einen Sieg schlichtweg zu einseitig und zu stark auf individuelle Aktionen fokussiert. Ob die Mannschaft in dieser Situation mit der komplexeren Herangehensweise erfolgreicher performt hätte, steht auf einem anderen Blatt.

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