SV Werder Bremen – SG Dynamo Dresden: Spielanalyse
Im ersten Spiel unter Guerino Capretti verliert Dynamo gegen den Spitzenreiter Werder Bremen. Offensiv agierte die SGD gefährlicher als zuletzt, hatte defensiv aber einige Probleme. Trotz dieser Unsicherheiten konnte man schon einige Ansätze der Spielidee des neuen Trainers beobachten. Schauen wir uns das einmal genauer an.
Das neue Capretti-Pressing
Nach dem Trainerwechsel unter der Woche blieb es bis zum Spiel am Sonntag spannend, inwiefern Capretti seine Ideen schon im Dynamo-Team implementieren konnte. Besonders schien man die bisherige Zeit für die Arbeit am Pressing genutzt zu haben. Gegen einen dominanten und ballbesitzstarken Gegner wie Bremen ergibt dies aus pragmatischen Gründen durchaus Sinn. Gegen das asymmetrische 433/352 der Werderaner im Aufbau stellte Capretti sein Team wie auch meist Schmidt in einer 433-Ausgangsstaffelung auf. Doch diese wurde ganz anders ausgeführt und interpretiert als zuletzt.
Während Dynamo unter Schmidt meist extrem hohes Angriffspressing spielte, agierte man nun in einem höheren Mittelfeldpressing. Man attackierte nicht mehr sofort und mit viel Laufaufwand, sondern wartete auf andere, ganz bestimmte Pressingtrigger.
Zunächst positionierten sich die Stürmer so: Daferner kontrollierte mit seinem Deckungsschatten den gegnerischen Sechser Groß. Die beiden Flügel agierten optionsorientiert im Raum, mit schnellem Zugriff auf die umliegenden Gegner und primär mit Blick darauf, den Passweg von Innenverteidiger auf Außenverteidiger zuzulaufen. (Im Gegensatz zu Königsdörffer rückte Schröter dabei in diesem Spiel weiter auf, was den Bremer Aufbau auf deren rechte Seite lenkte.)
Entscheidend für eine Dresdner Aktion waren ein Pass zwischen den beiden Innenverteidigern Friedl und Toprak und/ oder eine geschlossene Körperstellung des Gegners. Wurde beispielsweise ein Pass auf Friedl gespielt, lief ihn Schröter von außen diagonal an (während er den Passweg zum Außenverteidiger schloss), womit er ihn auf die andere Seite (Toprak) zwang.
War am Toprak am Ball, lief ihn Daferner (der gleichzeitig den Sechser in seinem Deckungsschatten halten sollte) ebenfalls diagonal an. Gelang das, hatte Bremen nur wenig Optionen. Denn Dynamo agierte im Mittelfeld mit losen Mannorientierungen und stellte so jegliche potenzielle Anspielstation zu.
Diese neue Herangehensweise im Pressing ist typisch für Capretti. Auch in Verl spielten die Pressingtrigger geschlossene Körperstellung und Pass zwischen den Innenverteidigern eine große Rolle. In den kommenden Wochen können wir dort also einen noch klareren Fokus und eine noch bessere Ausführung erwarten.
Ein weiterer Unterschied zum Pressing unter Schmidt sind die losen Mannorientierungen. Capretti legt großen Wert darauf, den optimalen Abstand zum Gegenspieler einzuhalten. Denn dieser ist idealerweise weder zu klein (wenn ich meinen Gegner manndecke, spielt ihn keiner an) noch zu groß (dann kann ich keinen Druck erzeugen). Verfolge ich ihn aber lose, sodass er angespielt wird und ich dennoch Druck erzeugen kann, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Ballgewinn am größten.
Vor allem für einen sauberen Ballgewinn. Wie man aus Verl kennt, forciert Capretti vor allem saubere Ballgewinne, also das Abfangen eines Passes statt eines Zweikampfs. Warum? Bei einem Zweikampf spielt der Zufall eine große Rolle (Wo springt der Ball hin?). Wenn ich dagegen den Ball sauber einsammeln kann, habe ich mehr Kontrolle und kann so schneller einen kontrollierten Gegenangriff fahren.
Probleme im Pressing
Ironischerweise war es jedoch genau jene Idee, aufgrund derer Dynamo in der ersten Spielhälfte Probleme hatte. Denn dass diese neue Pressingidee nach einigen Tagen Arbeit noch nicht reibungslos umgesetzt werden kann, ist logisch. Insbesondere nachdem Werder nach der Anfangsphase besser in ihr gefährliches Ballbesitzspiel fand.
Besonders im Anlaufverhalten der drei Dresdner Stürmer stimmte situativ die Abstimmung nicht. Teils reagierte man nicht auf Pressingtrigger, teils konnten Schröter und Daferner ihre jeweiligen Gegenspieler nicht im Deckungsschatten halten.
Entscheidend war dabei der Bremer Sechser Groß. Nachdem er sich anfangs ziemlich starr positionierte und so leicht von Daferner kontrolliert werden konnte, agierte er mit zunehmender Zeit immer flexibler. Häufig bewegte er sich nun aus dem Deckungsschatten, sodass er angespielt werden und ablegen oder aufdrehen konnte. Gelangte Groß an den Ball, sollte eigentlich Dynamos Sechser Mai aufrücken und ihm Druck geben. Doch dessen Weg war meist sehr weit. Daher konnte Werder diese Situation häufig über eine Ablage auf den Außenverteidiger (meist Veljkovic) auflösen und dann über schnelles diagonales Spiel zwischen die Linien fortsetzen (wo Mai den Raum frei machte und sich Ducksch und die Achter klug bewegten).
Gegen das fluide gegnerische Ein-Kontakt-Spiel fand Dynamo zudem gerade im Mittelfeld selten das richtige Timing, um von Raumkontrolle auf direkten Zugriff auf den jeweiligen Gegenspieler umzuschalten und so Druck bzw. Ballgewinne zu erzeugen.
Wenn überspielt, zog sich Dynamo in einem 451 zurück, hatte aber weiterhin Probleme. Werder überlud die Flügel und konnte dort Raum gewinnen. Insbesondere, wenn Dynamos Dreier-Mittelfeld zuvor auf der einen Seite auf den gegnerischen Außenverteidiger durchschieben und dann nach einer Verlagerung die Wege auf den anderen Flügel weit wurden. Diese Verschiebebewegungen klappten in tiefen Zonen selten bei der SGD, sodass man keine Kompaktheit erzeugen konnte.
Bremen setzte ihr Spiel vom Flügel dann meist klug über Halbraumpässe gegen die Verschieberichtung diagonal fort und gelangte so in gefährliche Zonen. Dort agierte Dynamo dann oft wieder zu passiv, was beispielsweise bei dem 2:1 zu beobachten ist. Wenn Bremen etwas genauer agiert, hätte man daher in der ersten Hälfte durchaus auch noch mehr Gegentore kassieren können.
Bekannter Ballbesitz, gefährlichere Konter
Dennoch war auch Dynamo in der Lage, Torgefahr zu kreieren. Denn besonders im Konterspiel ließen sich weitere neue Ansätze des Capretti-Fußballs erkennen.
Dynamos neuer Trainer legt normalerweise sowohl im organisierten Ballbesitz als auch im offensiven Umschaltspiel Wert auf klare Abläufe und Kontrolle. Zumindest bzgl. ersterem schien man in der letzten Woche jedoch noch wenig Zeit gehabt zu haben. Denn im Ballbesitz war Dynamo nur auf Sicherheit bedacht: Gegen das Angriffspressing Bremens spielte man nur lange Bälle, entweder direkt von Mitryushkin oder über Knipping und Giorbelidze.
So kreierte man aber zumindest – ähnlich wie bei Schmidt – konterähnliche Situationen. Und in denen agierte man ballsicherer und klarer als zuletzt, insbesondere im letztes Drittel.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Dynamo dynamischer agierte. Wurde ein langer Ball auf Daferner gespielt, startete aus dem 433 im Gegensatz zur Schmidt-Zeit auch mindestens ein Achter mit in die Tiefe. Hatte ein Spieler eine potenzielle Kontersituation vor Augen, dribbelte man mutig in den freien Raum. Dabei wurde vermehrt sichergestellt, dass für den Ballführenden anspielbare Verbindungsspieler verfügbar sind und ein Breitengeber den Gegner auseinanderzieht und/ oder Flanken vorbereitet. In der Box kreierte Dynamo dann über gegenläufige diagonale Laufwege und nachstoßendes Personal Dynamik und gefährliche Szenen.
Stückwerk in der zweiten Hälfte
Die zweite Hälfte entwickelte sich aus taktischer Sicht weit weniger spannend. Dynamo löste die eigenen Pressingprobleme mit einem höheren Pressing (ähnlich im 433, 8er schieben auf AV), verstärktem Druck auf den Ballführenden und mehr Aggressivität im individuellen Vorwärtsverteidigen. Torgefahr sollte es weiter über Konter geben. Da das Bremens Restverteidigung aber weitgehend stabil wegverteidigte, entstanden wenige gefährliche Szenen.
Da Werder aber auch nicht viel mehr Ruhe ins eigene Spiel brachte, sondern nahezu jede Kontersituation mitzunehmen versuchte, entstand eine sehr zerfahrene zweite Spielhälfte mit viel Stückwerk und zahlreichen Umschaltaktionen auf beiden Seiten.
Gegen Ende der Partie hatte Dynamo sogar einmal eine etwas längere Ballbesitzphase. Doch auch da wurde deutlich, wie wenig bisher an dieser Spielphase gearbeitet wurde. Man orientierte sich zwar stets auffällig in Richtung Zentrum, konnte aber selten Dynamik kreieren. Letztlich gelang es Dynamo daher nicht, mit einem 2:2 zurückzukommen.
Fazit
Insgesamt war das somit ein Spiel mit Licht und Schatten – mit spannenden neuen Ansätzen, Schritten nach vorn in der Offensive und Problemen in der (neuartigen) Defensive. Insbesondere in Bezug auf die Frage nach dem Klassenerhalt bleibt es spannend, wie sich die taktische Entwicklung Dynamos unter Capretti kurz- und langfristig fortsetzen wird.